Nathan 20.07.1995 – 08.05.2009
Mein erstes Lebensjahr
Am 20. Juli 1995 erblickte ich das Licht der Welt. Über meine Herkunft wusste ich nicht viel, außer, dass ich vermutlich aus einer kommerziellen Zucht stammte, zu früh von meiner Mutter weggekommen bin und dann bei einem Hundeverkäufer im Schweinestall als einer unter vielen da saß. Ich hatte 9 Geschwister. Als mein Frauchen mich holte, war ich 9 Wochen alt. Als ich dann bei den Knorr´s eingezogen bin, war es ihnen bestimmt nicht bewusst, wie sehr ich ihr Leben grundlegend verändern würde. Ich war wie die meisten jungen Hunde sehr stürmisch, verspielt, neugierig und, was ich bis zum Schluss war, ein absoluter Charmeur. Das musste ich auch sein, denn ich hatte nur Blödsinn im Kopf. Ich machte es meinen Leuten bestimmt nicht leicht, denn es war viel schöner mit geklauter Klobürste durchs Wohnzimmer zu fegen, als irgendwelche Gehorsamsübungen zu machen. Auch draußen stellte ich meine Ohren oft auf Durchzug, denn schnüffeln war für mich das Größte. Aber wer konnte mir schon böse sein?
Als ich 10 Monate alt war, suchte mein Frauchen eine Hundetrainerin, die ihr bei meiner Erziehung helfen sollte. Ich bekam in der ersten Stunde gleich ein Halti verpasst und an das Halsband eine 20 m lange Leine. Mein Erstes Sitz auf Kommando musste ich auf glühend heißem Asphalt machen. Die Trainerin wollte es so, aber mir tat es verdammt weh. Am liebsten hätte ich es ihr gezeigt „wo“ und „wie“ es wehtat, aber ein Gentleman tut so was nicht. Diese ewigen Kommandos „Sitz, Platz, Hiiier, Fuuußß“, die ich dauernd üben musste, nervten mich. Ich wusste erst überhaupt nicht, was die von mir wollten, denn keiner hat es mir genau erklärt. Nur, wenn ich nicht machte, was sie wollten, kam ein sehr schmerzhafter Leinenruck an meinen Hals. Also tat ich ihnen den Gefallen und war „gehorsam“, hörte mir ein „Fein“ an und fraß mein Leckerchen. Letzteres war für mich das einzig Sinnvolle an diesem Training. Ich hatte bald keine Lust mehr auf diese ganzen Übungen, noch weniger auf das Gezerre an meinem Hals. Ich stellte meine Ohren noch mehr auf Durchzug und konzentrierte mich draußen auf die Wildspuren. Hatte ich eine und startete durch, endete das Vergnügen leider meist nach 20 Metern mit einem brutalen Leinenruck, sodass ich sogar öfters durch die Luft geflogen bin. Aber ich probierte es immer wieder und setzte meine ganze Energie ein (ein waschechter Beagle gibt nicht auf), aber es endete immer frustrierend und schmerzhaft. Dabei habe ich die Spuren doch nur benutzt, um meinem Frauchen zu zeigen, was für ein „guter Beagle“ ich bin und ….. um der ganzen Quälerei zu entrinnen.
Ich sollte lernen, an anderen Hunden vorbei zu gehen. Viel lieber wollte ich mit ihnen spielen. Da ich aber nicht hin durfte, kläffte ich natürlich. Mit meiner Stimme war das „schön“ laut und sehr deutlich. Die Trainerin zerrte gnadenlos an dem Halti und brüllte „aus“. Mir hat sich eingeprägt: ein anderer Hund auf der Bildfläche bedeutet Druck, Stress und Schmerz für mich, kann also nichts Gutes sein. Meine Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Hunden verwandelte sich bald in Unsicherheit und Aggression. Als ich das erste Mal von einem anderen Hund gebissen worden bin, war alles vorbei. Ich hatte Angst und dachte mir, bevor mich ein anderer beißt, drohe und kläffe ich lieber zuerst, egal ob Ruck am Halti oder am Halsband. Ich hatte vor dem Halti Angst, musste es aber anziehen. Ein Jahr lang wurde ich so traktiert. Ich hatte dauernd Hals – und Mandelentzündungen von den Leinenrucken und meinem Gekläffe. Aber was noch viel schlimmer war, ich hatte zu meinem Frauchen immer weniger Vertrauen. Ich ging sehr auf Distanz, ließ mich ungern anfassen, verweigerte den Gehorsam nun ganz.
Mit 15 Monaten wurde ich kastriert, weil die Trainerin meinem Frauchen eingeredet hat, ich sei dominant. So lief ich zu Hause in strammen Höschen rum, damit ich mir nicht die Fäden rausziehe. Diese Trainerin hatte ja keine Ahnung von Hunden. Ich war eben ein Beagle, der sich mit „Schema – F“ Methoden nicht brechen lässt. Endlich begriff mein Frauchen, dass dies nicht der richtige Weg war, mich oder überhaupt einen Hund zu erziehen. Sie ging auf die Suche nach professionellen Hundetrainern, die wirklich etwas von Hunden verstehen, und hat sie Gott sei Dank auch gefunden.
Das geschah, als ich 2 Jahre alt war. Die von ihnen vermittelten neuen Erkenntnisse und Erfahrungen und die daraus bewirkten Veränderungen bei mir haben mein Frauchen so beeindruckt, dass sie sich entschlossen hat, selber die langwierige und schwierige Ausbildung als Hundetrainerin zu absolvieren. Damit kommen auch noch andere Artgenossen von mir in den Genuss einer hundegerechten Erziehung. Vor allem bekam ich ein schickes Brustgeschirr und eine 3 m – Leine, so dass ich keine Halsschmerzen zu haben brauchte. Während der letzten Jahre habe ich mein Frauchen auf fast allen Wegen begleitet. Wir haben miteinander und voneinander gelernt.
Es gab keine Schmerzen mehr beim Training, ich lernte ohne Zwang, ich durfte spielen, ich durfte Fährten laufen, kurz gesagt, ein hundegerechtes Leben führen. Auch die Grundkommandos machen mir jetzt Spaß. Aber das Wichtigste und schönste für mich war, dass ich wieder starkes Vertrauen zu meinem Frauchen entwickelt habe. Denn mein Frauchen hat jetzt gelernt wie wir Hunde uns ausdrücken und konnte genau erkennen, wann ich Angst hatte, unsicher oder auch mal aggressiv war und hat mir geholfen, damit besser umgehen zu können. Ich spürte immer mehr, dass mein Frauchen mich verstanden hatte, fühlte, was in mir vorging und mich in kritischen Situationen souverän geführt hat. Ich spürte Sicherheit und lernte, dass ich nicht um jeden Preis mein Leben selbst verteidigen muss.
Es begannen sich auch meine Besuche beim Tierarzt zu häufen, denn ich hatte immer Pusteln am Bauch, rote Augen und Ohren, was mich fürchterlich juckte. Die ständigen Antibiotika- und Cortisongaben halfen nur symptomatisch. So bestand mein Frauchen auf einen Allergietest, durch den festgestellt wurde, dass ich hochgradiger Allergiker gegen Pollen, Gräser, Bäume und diverse Nahrungsmittel war. Und das, wo doch gerade meine Ausbildung zum Fährtenhund angefangen hat. Ich bekam meine Desensibilisierungsbehandlung, die 9 Jahre dauern sollte. Frauchen spritze mich selbst, was mir, als sie es konnte, dann auch nichts mehr ausmachte. Ich freute mich sogar auf die Spritzen, denn hinterher gab es immer ein größeres Stück Fleischwurst.
Als ich dann 3 Jahre alt war, versuchte ich erwachsen zu werden. Aber ich glaube, so ganz ist es mir nie gelungen. Ich klaute, was ich in die Schnauze bekam. Frauchen und Herrchen verzweifelten manchmal, weil ich natürlich nichts hergab. So hatte ich aber immer ein schönes Nachlaufspiel mit meiner Familie. Doch dann war Schluss mit lustig, denn ich sollte apportieren lernen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten machte mir das riesigen Spaß, denn ich wurde immer, wenn ich etwas gebracht habe, belohnt. Auch gut, dann konnte ich weiter klauen. Ich machte dann zu Hause kleine Botengänge, brachte Herrchen die Zeitung, Frauchen die Hausschuhe, den Nachbarn auch mal Blumen. Im Zusammenhang mit meiner Fährtenausbildung suchte ich auch Schlüssel, die andere verloren haben und brachte sie dann zurück. Ich konnte endlich immer mehr mein Talent, nämlich meine gute Nase zu gebrauchen, ausleben. Ich war so gut, dass ich Fährten lief, obwohl die Hasen um mich herumsprangen. Wenn mich mein Frauchen zu ihren Trainerausbildungen mitgenommen hat, war ich, wenn es ums Fährten ging, immer der Vorzeigehund. Auch sonst zeigte ich mich immer von meiner besten Seite, hm, meinem Charme konnte eh keiner widerstehen.
Im Sommer hatte ich schlimme Erlebnisse, die unser aller Leben gravierend verändert haben.
Da war Folgendes: Mein Frauchen und ich gingen recht vergnügt in den Feldern spazieren. Plötzlich stand ein psychisch kranker Mann vor uns, pöbelte mein Frauchen an, schubste es, beschimpfte es und war sehr bedrohlich für uns beide. Da platze mir der Kragen und ich habe den Mann mal fürchterlich zusammengebrüllt. Frauchen brachte mich schnell zur Ruhe, aber dann kam eine Frau an, die das gesehen hat und schlug mit dem Rechen auf den Mann ein. Für mich war das die Bestätigung, dass Menschen in der Nähe meines Frauchens gefährlich sind. Frauchen sorgte dafür, dass die Frau aufhörte, ihn zu bedrängen. Die Polizei hat den Mann dann abgeholt. Ich stand da und hatte Angst um mein Fauchen und auch um mich. Wir gingen dann auch nach Hause. Als wir später wieder unsere Runde liefen, zeigte ich folgendes Verhalten. Ich ging auf jeden los, der nur ansatzweise in die Nähe meines Frauchens kam. Auch ich wollte von niemanden mehr angefasst werden und schnappte einfach nach jedem. Frauchen war entsetzt, denn so kannte sie mich nicht. Natürlich war das Vertrauensverhältnis zwischen uns gestört, denn sie konnte mir nicht mehr trauen.
Wenige Wochen später hatten wir einen Autounfall. Auf der Autobahn fuhr uns ein großer Lieferwagen mit 120 km/h hinten drauf. Der Unfallgegner, ein korpulenter Mann, brüllte mein Frauchen an, ob wohl er die Schuld an dem Unfall hatte. Ich selbst war ja auch noch im Schock und zitterte wie Espenlaub. Wieder ein Mensch, der mein Frauchen nicht nur massiv bedroht hat, sondern auch sehr verletzt hatte. Mein Verteidigungsverhalten gegen über fremden Menschen verstärkte sich so sehr, dass ich draußen niemanden an mein Frauchen ran gelassen habe und auch keiner mehr das Haus betreten durfte. Ich hatte das Vertrauen zu fremden Menschen verloren, ich war traumatisiert. Und ich hatte noch ein Problem: Ich hatte Angst vor dem Autofahren. Als Frauchen wieder genesen war und ein neues Auto hatte, übten wir 6 Wochen lang, dass ich meine Angst vor dem Autofahren wieder verliere. Juhu, das haben wir gemeinsam mit Bravour geschafft. Ich war nun ein stolzer Beifahrer in Frauchens neuem Geländewagen (sie nannte die „alte Gurke“ immer Traktor).
Während eines Spazierganges geschah weiteres Übel. Ganz unverhofft sprang ein Jagdhund über den Zaun des Grundstückes, wo er mit seinem Herrchen war, und stürzte sich auf mich. Er packte mich am Genick und schüttelte mich sehr kräftig durch. Eigentlich ein Verhalten aus dem Jagdverhalten, bei dem die Beute tot geschüttelt werden soll. Wie ich mich gefühlt habe, welche Angst ich um mein Leben hatte, kann sich keiner vorstellen. Ich habe in dieser Situation abgespeichert „Nicht nur Menschen, auch Hunde sind lebensbedrohlich“. Ab sofort kläffte ich auch bei jedem Hund. Ich merkte, dass ich immer mehr Angst entwickelt habe. So begann mein Frauchen mit mir zu arbeiten. Wir übten an Menschen vorbeizugehen ohne, dass ich sie anbellte. Es dauerte lange, bis ich mich daran gewöhnt hatte, dass andere Menschen doch nicht so gefährlich sind und nicht jeder meinem Frauchen etwas tut. Anfangs brauchten wir eine große Distanz zu den Leuten, aber nach einigen Monaten konnte ich wieder normal an Leuten vorbeigehen. Eines habe ich bis zu meinem Lebensende allerdings nicht mehr geschafft, nämlich das grenzenlose Vertrauen zu Menschen aufzubauen. Es durfte mich kein Fremder mehr ungefragt anfassen. Eigentlich hätte ich gerne Kontakt zu vielen Menschen gehabt, aber ich war blockiert. Frauchen entwickelte eine Strategie, wie fremde Menschen und ich in Kontakt treten konnten, ich dann auch die Angst etwas abbauen konnte. Nach mehreren Treffen war ich dann sicher und dann ließ ich mich auch anfassen. Für mein Frauchen war es viel Arbeit, mich immer sicher durch’ s Leben zu führen, aber ich war glücklich, dass sie es gemacht hat. Sie hat mich und meine Probleme verstanden, mich ernst genommen und mir geholfen. Sie hat brenzliche Situationen für mich entschärft, sodass ich weniger Stress hatte.
Es dauerte nicht lange, da wurde ich von einem Schäferhund gebissen. Ein Besuch beim Tierarzt war nötig, ich musste genäht werden. Wie schon gesagt, waren Hunde bei mir eh schon unten durch, und jetzt erst recht. Also machten wir das gleiche Training, wie wir es mit Menschen machten, auch mit Hunden. Frauchen nannte das Social Walks.
Als ich 4 Jahre alt war, zog Percy, meine geliebte Retrieverhündin, bei uns ein. Percy hatte es die ersten Jahre sehr schwer, weil sie von klein auf – wohl genetisch bedingt – vor allem, was die Umwelt und das Leben mit sich brachte, panische Angst hatte. Menschen, andere Hunde, eine Mülltonne auf dem Weg, ein Heuhaufen, Autos, die scheinende Sonne, der Mond am Horizont, das Betreten fremder Räume und noch viel mehr waren für Percy ein großes Problem. Mein Frauchen hat gelernt, mit Geduld und viel Einfühlungsvermögen Percy so zu führen, dass sie jetzt viele Dinge in ihrem Leben ohne Angst meistert. Zu Hause machte sie Servicetraining wie z.B. Handy holen, Licht anmachen, Post holen, Strümpfe ausziehen, Schlüssel holen – Dinge, die eigentlich auch ein Behindertenbegleithund lernt. Draußen lief sie exakt neben dem Rollstuhl her, hob Sachen auf, die Frauchen verloren, sogar ein 2 Euro – Stück (übrigens, ich lernte meistens mit und konnte das auch). Zwar konnte sie das nur in reizarmer Umgebung, für die Stadt hatte sie immer noch zu schwache Nerven, aber ich fand es toll, dass sie Spaß bei dem Training hatte und diese vielen Dinge überhaupt gelernt hat. Percy war jetzt viel ausgeglichener und aufgrund des positiven Erlebens der Beschäftigung ein glücklicher Hund, und, wenn unser Frauchen Lehrgänge oder Seminare besucht hatte, war sie auch mit dabei.
Ich sollte auch die Zeitung aus dem Briefkastenschlitz der Tür holen, aber nicht lange. Denn wenn der Zeitungsmann an unserem Briefkasten war, dann rannte ich zur Tür und brüllte, was eine Beaglestimme nur hergegeben hat. Die Zeitung steckte bald nicht mehr in der Tür, sondern lag vor der Tür auf der Treppe. Ob der Zeitungsmann Angst hatte?
Ich hatte immer noch mein Fährtentraining, was für mich das Größte war. Meine Fährten wurden abends im Dillinger Wald gelegt und am nächsten morgen früh um 7.00 Uhr bin ich sie dann gelaufen, habe Frauchens Söckchen gefunden, die sie unterwegs verloren hatte, ihr gebracht und auch genau angezeigt, wo sie die verloren hatte.
Mit Percy hatte ich viel Freude. Ihr gegenüber konnte ich mich so verhalten, wie ich früher eigentlich war; frei, ohne Angst, verspielt. Ihr gegenüber war ich ein geduldiges Schaf. Ich ließ mir von ihr sogar mein Lammöhrchen aus dem Maul klauen. In diesem Jahr sind wir in ein großes Haus mit Garten umgezogen, weil die Eltern von Frauchen zu uns ziehen sollten. Die brachten ihren Toy-Pudel Putzi mit, der damals 3 Jahre alt und fürchterlich verzogen war.
Als ich 5 Jahre alt war, wollte ich nicht mehr so gerne laufen. Ich schlich draußen nur herum, schnüffelte jeden Grashalm einzeln ab, damit ich mich ja nicht bewege. Frauchen hatte wirklich Schwierigkeiten zu unterscheiden, ob ich nicht wollte oder nicht konnte. Also war wieder mal ein Tierarztbesuch angesagt. Dort wurde festgestellt, dass ich Arthrose im Knie habe, mein Herz vergrößert ist und ich ein Überbein in den Handwurzelknochen habe. So bekam ich Schmerzmittel und Herztabletten. Nur hat sich an meinem Zustand nichts geändert. Ich lag am liebsten tagsüber in meinem Sessel. Außer wenn Frauchen mit Percy Servicetraining übte, da war ich voll dabei. Das machte richtig Spaß. Trockner ausräumen, Türen und Schubladen öffnen und schließen, Zeitung und Handy holen, Gegenstände unterscheiden und vieles mehr. Da wir das mit dem Clicker machten, gab es ja auch was zu fressen. In diesem Jahr wurde ich in kurzen Abständen von Nachbars Hündin drei Mal gebissen, also wieder Tierarzt, nähen oder klammern. Von anderen Hunden hatte ich immer die Schnauze voll und brüllte lieber gleich los, wenn ich einen gesehen habe.
Ich war nun 6 Jahre alt, meine Lauffreudigkeit hat sich nicht gebessert. Die Spaziergänge wurden kürzer, meine Aktivitäten weniger, auch das heiß geliebte Fährtentraining. Ich lahmte hinten, dann mal vorne und der Medizinmann meinte, man müsse mir vielleicht das Handwurzelgelenk vorne versteifen, wenn ich vorne nicht besser laufen würde. Im Sommer wurde ich wieder mal gebissen. Wir gingen abends um 22:30 Uhr noch unsere Abendrunde. Ein frei laufender Schäferhund kam in meine Nähe – absolut nicht meine Rasse. Ich knurrte leise vor mich hin, um ihn auf Distanz zu halten. Doch der dachte nicht daran sich zu verkrümeln sondern ging auf mich los. Brüllte natürlich, doch das half nichts mehr. Er biss mich in den Hals und hat mir die ganze Seite aufgerissen. So war ich wieder in der Tierklinik, wurde antibiotisch versorgt und am nächsten Morgen genäht. Mich zierte nun ein 10 cm langer “Abnäher”. Zu dem Thema “Fremde Hunde” brauche ich nun nichts mehr zu sagen. Da brauchte sich keiner mehr in meine Nähe wagen. Gebissen habe ich keinen, aber mit meiner lauten Stimme habe ich sehr viel Aufsehen erregt, um sie zu vertreiben. Meinen schlechten Ruf als aggressiver Hund hatte ich nun weg, mir war das egal, aber mir tat mein Frauchen leid, denn die hat sehr darunter gelitten. Ich wusste, dass sie sich sehr viel Mühe mit mir gegeben hatte, aber ich konnte einfach nicht anders.
Warum ich nicht anders konnte, stellte sich raus, als ich im Alter von 7 Jahren wegen meiner Laufunfreudigkeit in der Tierklinik vorgestellt worden bin. Wir waren damals in der Tierklinik am Sandpfad, da mein Frauchen endlich mal genau wissen wollte, was mit mir los ist. Ich hatte viel Angst, denn die Tierarztbesuche häuften sich immer mehr und die Behandlungen sind auch meistens immer schmerzhaft. Dieses Mal war aber alles anders. Der Tierarzt nahm sich Zeit. Während er Frauchen über mich ausfragte, konnte ich mal alles inspizieren. Wegen Fluchtgefahr meinerseits war die Tür des Behandlungszimmers allerdings immer schön geschlossen. Es war eine ruhige Atmosphäre in dem Arztzimmer, der Tierarzt war geduldig, gab mir Zeit auf dem Tisch, redete freundlich mit mir und streichelte mich sogar. Nach dem er alle Gelenke soweit durch hatte, kamen die Hüften dran. Volltreffer – ich brüllte wie am Spieß, denn das tat weh. Der Tierarzt hörte sofort auf und sagte, dass er jetzt keine schmerzhaften Untersuchungen mehr machen kann, weil ein Beagle meistens jetzt vorher schreit, er den Rest in Narkose untersuchen wird. Da hat er recht, ich war und bin eine Mimose. Ich wurde dann in das Land der Träume geschickt, damit ich geröntgt und anschließende ins CT gelegt werden konnte. Das Ergebnis war, dass ich beidseitig schwere HD hatte, Gott sei Dank aber keine Arthrose. Ich hatte nirgends wo Arthrose, auch kein Überbein im Handwurzelgelenk. Als ich wieder wach war – Frauchen durfte bei mir sein, was ich toll fand – wurde ein OP – Termin ausgemacht. Der Arzt plante eine Pectinectomie auf der rechten Seite zu machen, weil diese Hüfte schlechter als die linke war. Die Operation war einige Wochen später supergut gelaufen. Ich hatte danach allerdings drei Wochen “Bettruhe”, durfte nur drei Mal am Tag kurze Runden gehen. So wärmte ich den Sessel und wurde leider auch ein wenig dick. Frauchen drohte mir an, dass, sobald ich wieder laufen darf, ich mich mehr bewegen und auch Diät halten musste. Der Gedanke allein daran war für mich schrecklich. Nach diesen drei Wochen begann das Lauftraining, lacht nicht, das machte wieder Spaß. So ging ich gerne mit Percy zusammen auf die Wiese, spielte sogar mal kurz mit ihr, schnüffelte leidenschaftlich und war wieder Hund.
Mein Gewicht war nach kurzer Zeit wieder okay. Da es mir nun wieder gut ging, wollte Frauchen mit mir das Thema “Fremde Hunde” angehen, denn ihr ging meine Kläfferei sehr auf die Nerven. Sie machte mit mir Monate lang das ganze Programm des Social Walks, was sie in der Hundeschule mit ihren Kundenhunden macht, durch. Ich wurde richtig gut. Ich brauchte immer weniger Distanz zu den anderen Hunden, um ruhig bleiben zu können, konnte an Hundegruppen schweigend vorbei gehen und war sogar mal in der Lage ab und zu mit einem fremden Hund kurz Kontakt aufzunehmen.
Ich war nun 8 Jahre alt. Meine Fortschritte, die ich mit anderen Hunden machte, wurden von den Nachbarn nicht gewürdigt. Für die war ich der unmögliche Köter. Fremde Menschen mochte ich ja auch nicht, also ließ mich Frauchen auch nicht zu jedem hin.
Ich durfte jetzt oft mit ihr in der Hundeschule als Figurantenhund bei den Social Walks helfen. Ich war erstaunt, wie viele Hunde das gleiche Problem mit ihren Artgenossen hatten wie ich. Ich lief mit den anderen Hunden total entspannt mit, konnte Kontakt zu ihnen aufnehmen, und was besonders toll war, auch mit den Menschen. Durch Frauchens Anleitung haben sie gelernt mich zu respektieren. Sie haben mich nicht gleich zu gequatscht und angefasst, sondern mir Zeit gelassen. Nach einer Weile habe ich mich auch anfassen lassen und sie haben es überlebt.
Mein 9. Lebensjahr und 10. Lebensjahr verlief relativ ruhig. Außer, dass ich mal zum Tierarzt musste, weil mich gewisse Alterszipperlein plagten (Rücken), ich in der Hundeschule mit helfen durfte, war nichts Außergewöhnliches. Ich wurde immer ruhiger, bevorzugte meinen gemütlichen Sessel und wollte vor allem meine Ruhe haben. Ab und zu überkam mich jedoch der Schalk und ich klaute Schuhe, die ich dann gegen Belohnung gerne wieder abgeliefert habe. Dieses Spielchen wurde bald zur Gewohnheit. So machte ich jeden Abend meine “Nummer” und hatte meinen Spaß – und meine Familie auch. Frauchen legte mir ab und zu mal eine Seniorenfährte, wir klickerten auch manchmal, denn ich sollte ja nicht verblöden. Aber ich war schnell müde.
Kurz vor meinem 11. Lebensjahr sind wir nach Rosbach/Rodheim umgezogen. Wir haben da einen großen Bauernhof, wo mein Frauchen ihre Hundeschule neu aufgebaut hat. Für uns Hunde war das prima, denn sie war jetzt viel in unserer Nähe. Aus dem Kuhstall machte sie eine Trainingshalle, in der wir auch sein durften, wenn keine Kunden da waren. Zwischen den Trainings kam sie immer zu uns oder wir durften in den Hof. Manchmal war es mir zu laut, wenn meine Family wieder mal hämmerte und bohrte, so verkrümelte ich mit halt im Beet. Renovieren muss halt sein. Ich musste mich an alles neu gewöhnen – für mein altes Näschen natürlich eine schöne Abwechslung. Nicht so toll fand ich, dass ich wieder neue Hunde kennen lernen musste. Frauchen hat mich nicht dazu gezwungen, aber es bleibt halt nicht aus, dass wir welchen begegneten. Ich brüllte wie in alten Zeiten erst mal los. Armes Frauchen, jetzt fing sie mit mir von vorne an. Aber ich habe mich schnell gefangen. Frauchen führte mich sicher und geduldig auf unserer Gassirunde. Ich habe mich sogar mit unserem Nachbar und seinem Dackel Willi angefreundet. Wir sind oft zusammen spazieren gegangen. Es war ein schöner Spätsommer. Oft habe ich mich mit Percy oder Putzi im Hof auf die Decke gelegt und die Sonnenstrahlen genossen. Meine Augen waren sehr empfindlich, ich blinzelte sehr viel. Abends stand ich immer vor der Treppe, die in den oberen Wohnbereich führte, und bellte. Frauchen rätselte erst, warum ich das tat. Dann klickte es bei ihr: Ich wollte, dass sie das Licht anmacht, wenn ich nach oben ins Bett gehen will. Genauso habe ich sie immer gerufen, wenn ich die Treppe wieder runtergehen wollte. Ich war unsicher, weil die alte Holztreppe im Tritt anders ist und auch viel steiler ist, als die Treppen, die ich früher laufen musste. Ich merkte schon, dass ich alt werde. Manchmal fuhren wir alle zum Hundeplatz, da durften wir machen, was wir wollten. Ich hatte manchmal Lust auf den kleinen Geräten zu balancieren oder zu apportieren. Es ging halt alles nicht mehr so schnell wie früher, aber Spaß machte es mir.
Mein 12. Lebensjahr verlief sehr ruhig. Ich genoss die Sonne im Sommer und den warmen Ofen im Winter. Zum Spazierengehen hatte ich nicht immer Lust, denn es plagten mich schon manchmal meine Wehwehchen. Ich hatte öfters Rückenschmerzen. Auch hatte ich aus Altersgründen nun eine Schilddrüsenunterfunktion. Auch wenn ich körperlich nicht mehr so fit war, geistig war ich noch sehr rege. Ich hatte meine Familie immer im Auge und passte auf, was sie machten. Kühlschranktüren und Spülmaschinentüren reizten mich wie eh und je meinen Sessel zu verlassen. Es könnte ja etwas Genießbares für mich rausspringen. Auch machte ich abends regelmäßig mein “Nümmerchen”. Ich apportierte alle Schuhe zu Herrchen oder Frauchen und bekam dafür eine kleine Belohnung. Damit ich nicht dick werde, haben mir die doch wirklich die Leckerchen vom Abendessen abgezogen. Morgens lief ich oft meine Seniorenfährte: Frauchen ging also erst mit Percy, dann mit mir. So habe ich immer genau den Weg ab geschnüffelt, den die beiden gelaufen sind. Frauchen wollte mit mir manchmal anders gehen, aber das habe ich nicht zugelassen. Ein ordentlicher Fährtenhund läuft seine Spur.
Zwei Tage vor meinem 13. Geburtstag (im Juli) brachte mich Frauchen zum Tierarzt, weil sie eine Verdickung an meinem rechten Hinterfuß entdeckt hat. Ich will nicht lange drum herum reden. Es wurde eine Biopsie gemacht und das Ergebnis war, dass ich da ein bösartig es Lymphom hatte. Meine Lebenserwartung – hieß es – könne von wenigen Tagen bis zu mehreren Monaten gehen. Dass meine Familie sehr traurig war, brauche ich wohl nicht weiter auszumalen. Ich war zwar ein alter Beagle, aber halt ein waschechter. Und ein Beagle gibt so schnell nicht auf. Meine Familie hat mich nie im Stich gelassen, obwohl ich nicht immer einfach war. Deshalb beschloss ich, mich nicht zu schnell von ihnen zu verabschieden. Frauchen und ich haben uns geeinigt, dass ich keine richtige Chemotherapie mehr bekommen sollte, allerdings bekam ich Cortison. Mir ging es gut damit. Nur der Hunger – ich war eine Nervensäge, weil ich am liebsten den ganzen Tag gefressen hätte. Frauchen managte das aber geschickt. Sie gab mir dann immer 4-5 kleine Mahlzeiten am Tag, sodass ich und auch sie meinen Dauerappetit langsam in den Griff bekamen. Es ging auf Weihnachten zu – ich wusste nicht, dass es mein Letztes sein wird. Ich war sehr müde und vor allem konnte ich schlecht laufen. Ich humpelte mit dem rechten Vorderbein sehr erbärmlich. Percy humpelte zurzeit vorne links. So sah es bestimmt drollig aus, wenn wir zwei Oldies “Arm in Arm” über den Hof wackelten. Ich musste wieder mal zum Tierarzt, denn das wollte Frauchen nicht so lassen. CT war angesagt, denn wir wollten schon abklären, war ich so schlecht laufen konnte. Frauchen war völlig blass, denn der Tierarzt sah auch nicht glücklich aus, als er mich schlafen legte. Denn beide hatten die Befürchtung, dass ich vielleicht Weichteilkrebs habe – und dann? Es wurde ein CT von der Halswirbelsäule, der Schulter und dem Ellenbogen gemacht. Der Grund, warum ich nicht laufen konnte, war, dass ich im Ellenbogen die berühmte OCD habe. Die war am Röntgenbild früher nie zu sehen gewesen. Ich hatte das schon zweimal gehabt, dass ich vorne nicht gut laufen konnte. Ich wurde im Ellenbogen “schmerzfrei” gespritzt und das hat zum Glück immer paar Jahre gehalten. Ich bekam also auch jetzt wieder meine Spritze ins Ellenbogengelenk und nach wenigen Tagen lief ich wieder wie’s Lottchen. So waren Weihnachten und Silvester für uns eine schöne Zeit. Ich merkte, dass mein Frauchen oft traurig war, denn sie spürte schon, dass sich unsere Wege bald trennen werden. Wir waren uns immer sehr nahe, brauchten keine großen Worte um uns zu verständigen. Sie sah genau, wie es mir ging. Bis Ostern war alles so weit im grünen Bereich. Als wir an einem Sonntag im April 2009 spazieren gegangen sind, bin ich plötzlich wie ein Klapptisch umgefallen, stand aber schnell wieder auf. Wir waren beim Bereitschaftsdienst des Tierarztes, der die Angelegenheit mit dem Kreislauf in Zusammenhang gebracht hat. Drei Tage später waren wir wieder beim Tierarzt, der mich dann genauer anschaute. Ich hatte einen Leberriss. Mein Bauch voll Blut und ich hatte Schmerzen. Ich durfte wieder mit nach Hause, bekam Schmerzmittel und sollte halt viel liegen. Nach zwei Wochen brauchte ich die Schmerzmittel nicht mehr, denn es ging mir so ganz gut. Ich bin viel auf dem Sofa gelegen, habe viel gedöst, aber ich spürte die Liebe meiner Familie und mir wurde immer bewusster, dass diese Liebe zwischen ihnen und mir sehr tief ist.
Am 8. Mai 2009 war es soweit, dass ich über die Regenbogenbrücke gegangen bin. Als Frauchen nach Hause gekommen ist, stand ich in gekrümmter Haltung in der Küche. Meine Schleimhäute waren schon weiß. Frauchen weinte und sagte “Nathan, wir fahren”. So fuhren wir zu unserem Tierarzt. Er sagte nur, dass der Bauch wieder voll Blut ist, also der zweite Leberriss da war. Die beiden sprachen wohl, was mit mir nun geschehen soll. Frauchen ging mit mir noch mal auf die Wiese – der Zeitpunkt des Abschieds ist nun gekommen. Sie spürte, dass ich gehen wollte und vor allem, dass ich bereit dazu bin. Sie bedankte sich bei mir für all die schönen Stunden, die ich bereitet habe und was sie von mir lernen durfte. Ich leckte ihr, schwach wie ich war, über die Hand. Wir waren uns beide einig, nun in die Praxis zurückzugehen. Sie war bei mir, hielt mir Kopf und Pfötchen, als ich meine erlösende Spritze bekommen habe. Ich bin dankbar darüber, dass ich mit Würde alt werden durfte, nicht unnötig leiden musste und in Würde sterben durfte. Ich bin nun auf der anderen Seite – aber verbunden werden wir ewig sein.